Frankreich - Das grüne Wunder an der Seine

9. Juni 2009
Von Susanne Nies
Von Susanne Nies

Mit "Dany le Rouge", oder besser "Dany le Vert" ist man vor Überraschungen nie sicher: vierzig Jahre nach dem nachhaltig von ihm beförderten Rücktritt von General de Gaulle gelang ihm am Sonntagabend zwar nicht die Machtergreifung in Paris, doch der triumphale Widereinzug in das europäische Parlament, mit insgesamt 15,7 Prozent der Stimmen für Europe Ecologie.

Zwar haben die Konservativen in Frankreich mit 28,3 Prozent gewonnen, aber hier muss man nicht zuletzt den komaartigen Zustand der völlig fragmentierten und unglaubwürdigen Parti Socialiste als Grund anführen. Die linken Repräsentanten hatten sich vor zwei Jahren im Zuge der "Öffnungspolitik" Sarkozys allesamt aufkaufen lassen, und es blieb nur ein verstreuter und trostloser Rest ohne Charisma. Rechts hatte die Kandidatur der  unbequem gewordenen Justizministerin Rachida Dati für ein Europa-Mandat landesweit zu Erstaunen und Gelächter geführt, da die Kandidatin sich mehrmals öffentlich durch ihre völlige europa-politische Ignoranz blamierte. Ihre Kandidatur war daher als "One-Way-Ticket" zu verstehen. In anderen Mitgliedsstaaten schüttelte man den Kopf, zu recht zweifelnd an der wahren Europhilie eines Präsidenten - einige Wochen nach Ende der erfolgreichen französischen Ratspräsidentschaft.
Als Protestwahl stand für die wie überall in Europa weitgehend durch Absenteismus gekennzeichnete Wahl entweder nur das Mouvement Démocratique (MoDem) von François Bayrou zur Verfügung, oder aber Europe Ecologie. Die Zahlen von Sonntagabend zeigen, dass die Grünen das doppelte Ergebnis von MoDem erreichen konnten, und demzufolge eine anständige europäische Kampagne geführt haben. An dieser Stelle sei ebenfalls erfreulich vermerkt, dass Le Pen - auch wenn er mit seiner Tochter Marina und dem unverbesserlichen Gollnisch, aber eben nur mit den beiden - den Einzug ins Parlament schaffte, anders als die Rechtsextremen mit ihren 15-20 Prozent in den Niederlanden, in Finnland, Österreich, Ungarn und sogar Dänemark dieses Mal mit nur 6,5 Prozent. Damit hat dieser Spuk hoffentlich für immer ein Ende.

Warum aber hat Europe Ecologie so überraschend hohe Resultate erzielen können?
Wie ist es möglich, dass in einem Land, das man gemeinhin mit Atomkraftwerken allerorts und unpolitischer Mode identifiziert, ausgerechnet die Grünen so gut abschneiden konnten?
Ein erster aufgeführter Grund ist der banalste, in Gestalt des Eigentors von François Bayrou gegenüber Cohn-Bendit, drei Tage vor den Europawahlen. Während der prominenten Fernsehsendung auf dem zweiten Kanal, France 2  "A vous de juger", lieferten sich die beiden Politiker einen Schlagabtausch, in dem Bayrou die Nerven verlor und Cohn-Bendit der Pädophilie bezichtigte. Er  verwies dabei auf ein Buch des Grünen aus dem Jahr 1975, das auch schon zuvor kritisiert worden war. 
Wieso dieser Schlagabtausch? Grund war vermutlich eine am Morgen publizierte Umfrage, demzufolge Europe Ecologie weit vor dem MoDem liegen würde. Die Zuschauer, die sich eigentlich mit den europa-politischen Vorschlägen beider Politiker vertraut machen wollten, wurden schockiert Zeugen eines primitiven Gefechts. Die Moderatorin Arlette Chabod kommentierte: "So etwas habe ich noch nie erlebt. Es ist, als wenn im Fernsehen die Banlieue die Herrschaft übernommen hätte". Infolge der Sendung sah sich Bayrou desavouiert. Ihn zu wählen wurde ebenso wenig als Alternative angesehen, wie schon während des Präsidentschaftswahlkampfs, wo das Casting eine Rolle übrig hatte, die er aber nicht einzunehmen wusste. Manche behaupten, Cohn-Bendit habe ihn bewusst provoziert und zu diesem Schritt getrieben.

Als zweiten Grund muss man ein später als in Deutschland einsetzendes ökologisches Bewusstsein in Frankreich nennen. Wenn noch vor zehn Jahren deutsche Grüne verwundert die aus ihrer Sicht exotischen französischen Gegenüber mit ihren Themen wie der Jagd (1)  zur Kenntnis nahmen, so haben sich die Themen heute angenähert. Das Bewusstsein für grüne Themen, Klimawandel, aber auch globale Gerechtigkeit ist in Frankreich und gerade in der jungen Generation sehr gross. Organisationen wie der WWF, aber auch Medecins sans Frontières verzeichnen schon seit Jahren grossen Zulauf. Aber eben nicht die Grünen, die sich als untereinander uneins, verstritten, verzettelt gaben. Cohn-Bendit und seinen Mitstreitern ist es diesmal gelungen, der grünen Bewegung eine institutionelle Basis zu geben. Die Zutaten für diesen Erfolg waren Spitzenkandidaten aus den unterschiedlichen Bewegungen für die acht Bezirke in Frankreich, ein gemeinsames klares pro-europäisches Programm, sowie eine sehr effiziente Wahlkampagne, und natürlich die charismatische und lustige Persönlichkeit Cohn-Bendits.  Ein gemeinsames Manifest mit Punkten zu Energie, Bildung, Gesundheit, Soziales, Arbeit, Europa und Internationales hat es geschafft, die Bürger aller Altersschichten anzusprechen.

Während des bereits erwähnten Fernsehduells hatte Bayrou Cohn-Bendit vorgeworfen,  im Elysée ein und auszugehen, und mit dem Präsidenten Sarkozy auf "Du und Du" zu stehen. Ein völlig unberechtigter Vorwurf? Oder eine spätere Schwarz-Grüne Option für Frankreich?  Die Tatsache, dass der französische Präsident die Stickstoff Steuer seit jüngstem befürwortet konnte bereits ein Anzeichen grüner Einflussnahme sein.

Eins steht fest: mit Dany Cohn-Bendit ist man vor Überraschungen nicht  sicher. In dieser Wahl hat der Politiker das verkörpert, was in den anderen Parteien weitgehend fehlte: eine bekannte Persönlichkeit, die sich für Europa einsetzt. On verra la suite!

 

(1) Jagd wird in Frankreich in Zusammenhang mit der Revolution gesehen : erstmals erhielten die Bürger das Recht, auch zu jagen, und eben nicht nur die Aristokraten. Dieser Punkt wurde von den deutschen Grünen nie verstanden, und das Jagdanliegen fälschlich als „aristokratisch“ missverstanden.

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